Finanzindustrie

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Das Wort Finanzindustrie entstammt wie so viele Ausdrücke im Finanzbereich aus dem englischen Wort „financial industry“ und ist ein Synonym für den wichtigsten Teil der britischen Volkswirtschaft. Eben eine Industrie!! Sehr kritische Zeitgenossen nennen sie die Blutsauger einer Volks­wirtschaft, andere meinen, dass sie ein wichtiger Baustein im Spiel der Marktkräfte und nicht mehr wegzudenken wären bei der Finanzierung des wirtschaftlichen Fortschritts.

Früher konnte man unter dieser Bezeichnung im Wesentlichen nur die Banken (Privatbanken, Sparkassen, Volksbanken) sehen. Jetzt spielen die Banken eine kleinere Rolle und müssen sich diese mit Finanzvertrieben aller Art, diversen Investmentfonds, hoch­spekulativen Hedgefonds unterschiedlichster Kategorie, nicht Bank­konzernen angeschlossenen Internetbanken u. a. mit den abstrusesten Angeboten und den Versicherungen, welche gerne ihre Versicherungspolicen mit den Bankprodukten vermischen wollen oder jetzt sogar aufgrund fehlender Anlagealternativen in das Kreditgeschäft einsteigen, teilen.

Bis etwa in die Mitte der 90-er Jahre bestand das Bankgeschäft hauptsächlich aus dem Kreditgeschäft mit Unternehmen, das Anlagegeschäft mit den Privatkunden war überschaubar und beschränkte sich auf ein relativ transparentes Produktportfolio. Die anderen Bereiche wie Auslandsgeschäft, Devisenhandel und Zahlungsverkehr dienten letztlich dem Unternehmenskunden­kreditgeschäft.

Das Kreditgeschäft mit Privatkunden nahm hier zunächst eine deut­lich untergeordnete Rolle ein, die dann später zu einer über­ragenden wurde. Die Kreditvergabe an Privatkunden und damit der Start in dieses Massengeschäft kamen erst in den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts so langsam in Schwung. Die Vorreiterrolle spielte hier der deutsche „Bankenprimus“, wobei diese Kreditver­gabe noch sehr stark von den jeweiligen Banken sehr strengen Vorgaben und Regularien unterworfen war. Ich erinnere mich noch an archivierte Kreditvorlagen aus den 60iger Jahren in Höhe von DM 50.000, die noch von zwei Vorstandsmitgliedern der Dresdner Bank genehmigt werden mussten.

Somit konnte der Erfolg einer Bank an der Anzahl der betreuten Unternehmen, am Umfang der damit getätigten Bankgeschäfte und der daraus erzielten Erträge sowie der Höhe der Wertbe­richtigungen für Kredite, womit die hohe Professionalität bei der Kreditvergabe der Banken dokumentiert wurde, erkannt werden. Die Bank nahm Geld der Anlagekunden entgegen und gab es an die für gut befundenen Kreditkunden weiter. Hierbei bekam der Anlagekunde für die Überlassung seines Geldes den ent­sprechenden Zinssatz, der in der Regel deutlich geringer war als der Zinssatz, den die Bank vom Kreditkunden verlangte. Diese Zins­differenz, bzw. Zinsmarge war neben den Provisionserträgen aus der Abwicklung des Auslandsgeschäftes und vieler ähnlich ge­lagerter Geschäftsarten der Ertrag der Bank. Das Kapitalmarkt­geschäft spielte hierbei noch keine große Rolle und war nur wenigen Banken mit entsprechender Kapitalmarktexpertise vor­behalten.

Mitte /­ Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts fasste dann das so genannte Investment Banking, kommend aus dem angelsächsischen Teil des Globus langsam Fuß in Europa, wobei die Deutsche Bank in 1989 unter Alfred Herrhausen mit dem Kauf der britischen Morgan Grenfell den hierzu größten Schritt unternahm und wiederum sich als Vorreiter profilierte. Andere Banken folgten dann in der Regel wie Lemminge diesem Schritt der Deutsche Bank (in 1995 die Dresdner Bank mit dem Kauf der britischen Invest­ment­bank Kleinwort Benson) mit der Folge, dass gegen Ende der 90er Jahre die Investmentbanker die Vorstandspositionen der Geschäftsbanken sukzessive okkupierten, indem sie alle Geschäfts­arten, welche mit dem Investmentbanking in Berührung kamen, einfach als wesentlichen Bestandteil des Investmentbankings deklarierten.

Die Dresdner Bank rühmte sich sogar damit, einen mit 34 Lebens­jahren an „Erfahrung“ einen der jüngsten Vorstandsmitglieder im Vorstand zu haben. Später gab man ihm dann aber die Schuld dafür, dass er mit seinen forcierten Zukäufen, u. a. die M&A – „Boutique“ Wasserstein (Kaufpreis DM 3,5 Milliarden) wesentlich den Nieder­gang der Dresdner Bank in Gang gesetzt  hatte, da mit diesem Kauf­preis so ziemlich die letzten Reserven der Bank verbraucht worden waren. Dennoch blieben diesem Herrn nach seinem Rausschmiss die Spitzenpositionen in einer bekannten Schweizer Versicherungs­ge­sell­schaft und jetzt als tragender Kopf einer „Finanzgruppe“, welche bedauer­licherweise die BHF-Bank  vermutlich übernehmen wird und mit der
Invest­mentbank Kleinwort Benson vernetzen will (= Verkauf von strukturiertem Finanzmischmasch), nicht ver­schlossen. Selbst eine bekannte Tages­wirtschaftszeitung bemühte ihn als Laudator für eine Preisvergabe. Normalerweise sollte eine solche Ehre erfolgreichen Wirtschaftsführern vorbehalten bleiben.

Eigentlich unfassbar, zeigt es aber doch, wie verdreht die Ethik in der Wirtschaft eigentlich geworden ist.

Die Grundlage für den Einzug oder Siegeszug des Investment­bankings waren die außerordentlich hohen Erträge, welche diese Geschäftssparte erwirtschaftete. Zunächst hunderte von Millionen US$ und später dann mehrere Milliarden und dann im Quartal, Sie lesen richtig, im Quartal. Das überstieg sogar die Ertragslage von Rauschgiftsyndikaten und Waffenhändlern.

Die Fachleute jubelten zusammen mit den „Wirtschafts­journalisten“ um die Wette und sprachen von einem neu angebrochenem Zeitalter der finanziellen Glückseligkeit und lobten vor allem die hierfür verantwortlichen Finanz-innovationen, die immer komplizierter wurden und die zuletzt dann keiner mehr verstand.

Die wenigsten Fachleute sahen diese Entwicklung sehr kritisch, insbesondere die Wirtschaftspresse schien sich keine Gedanken darüber zu machen, dass auf der anderen Seite viele Geschäfts­partner dieser Banken, seien es Sparer oder Kreditkunden, für diese hohen Erträge bezahlen mussten. Gewinne der Bank bedeuten Verluste oder massive Benachteiligungen der Kunden dieser Banken. Dieses System wurde als eine so genannte win-win- Situation der Öffentlichkeit verkauft, war aber letztlich eine brutale Abzocke, welche jetzt durch die zahllosen juristischen Prozesse dieser hoch gelobten Banken mehr als unterstrichen wird.

Letztlich wurden diese hohen Erträge der jeweiligen Volkswirtschaft entnommen, insbesondere dann, wenn diese ertragsstarken Investmentbanken aus Regionen heraus operierten, die mit der jeweiligen Volkswirtschaft nur über Telefondrähte und Internetver­bindungen verbunden waren. Gesteuert wurden diese Geschäfte von nur wenigen Finanzfachleuten in London und an der Wall Street mit astronomisch hohen Gehältern, die diesen Volkswirtschaften in den wenigsten Fällen zugutekamen. Großbritannien und die USA wären hier speziell auszunehmen, in diesen Ländern befindet sich das jeweilige Basislager für die Raubzüge der Investmentbanken.

Insbesondere der deutsche Bankenprimus spielte hier eine maßgebliche Rolle. Mit der Ausgabe der Kennzahl 25 % Eigen­kapitalrendite wurde das Rennen eröffnet und jeder starrte nur auf diese Ertragskennziffer, als gäbe es nur diese. Dies führte dazu, dass die Banken sogar ihr eigenes Kapital durch Aktien­rückkauf­programme zurückkauften, um sie denen als Salär zu geben, welche die hohen Erträge „erwirtschafteten“, wie sich dann später und jetzt in vielen Fällen herausstellte, ergaunerten. Hierzu muss man wissen, dass die zurückgekauften eigenen Aktien auf der Aktivseite = Vermögensseite einer Bilanz verbucht werden, analytisch aber vom Kapital abgesetzt werden müssen, da das eigene Kapital auf der Vermögens- /­Aktivseite der Bilanz, welche durch das Kapital ja finanziert wird, kein Kapital mehr sein kann. Wenn Kapital sich selbst finanziert, beträgt es null, d. h., eigene Anteile auf der Aktiv­seite sind gleichzusetzen mit noch nicht einbezahltem Kapital und müssen daher von der vollen Summe des Eigenkapitals abgezogen werden. Diese Tatsache ist jedem Buchhalter geläufig, den vom Investmentbanking getriebenen Großbankvorständen schien aber dieser Buchungsvorgang unbekannt zu sein.

Mit diesen Rückkaufprogrammen reduzierte sich somit das Eigen­kapital entsprechend, ins Verhältnis gesetzt zum erwirtschafteten Gewinn stieg somit diese Eigenkapitalrendite und alles jubelte über diese hohe Ertragskraft dieser und jener Bank. Dies war schon sehr verwunderlich, legte man doch den Kreditkunden dieser Banken nicht nur zu dieser Zeit sehr nahe, das Eigenkapital doch zu stärken, um bei schlechten Entwicklungen einen Puffer gegen sich dann abzeichnende Verluste zu haben.

Selbst heute noch werden Aktienrückkaufprogramme als sinnvoll dargestellt. Man legt einfach eine Anleihe zu 0,x %, bzw. man nimmt Kredit bei einer Vielzahl von Kreditnehmern auf und kauft damit eigene Aktien zurück, die eine Dividende von 4-5 % normalerweise erbringen und erspart sich somit die Differenz zwischen Kreditzins und Dividendenzins. Zu diesem Vorgang, wie bei Siemens und Intel geschehen, werden dann in Presseberichten („Aktienrückkäufe auf Pump rechnen sich“??) Banker zitiert, welche anscheinend nur auf der Anlageseite ihre Karriere gemacht haben, somit über keine Kreditexpertise verfügen und damit auch nicht den Sinn eines Eigenkapitals verstehen, sondern nur die derzeitige, ich wiederhole derzeitige Ertrags- und Kostenoptimierung im Blickfeld haben. Ent­sprechendes gilt natürlich für die Akteure bei Siemens und Intel & Co. Man kann nur hoffen, dass am Fälligkeitstag dieser Anleihe der Kredit oder die Anleihe aus dem erwirtschafteten Gewinn zurück bezahlt werden kann und zu diesem Zeitpunkt sich das Unter­nehmen in keiner wirtschaftlich schwierigen Lage befindet, in der Kapital dann dringend gebraucht wird. Sollte dies alles zutreffen, wäre ein solches Unternehmen ein gefundenes Fressen für meine „geliebten“ Investmentbanker, der Tod auf Raten wäre dann vor­programmiert.

Damit diese, durch Aktienrückkaufprogramme hervorgerufene Kapitalreduzierung nicht auffiel, haben die Banken – mit Hilfe der willfährigen Politik – die Definition des Eigenkapitals für Banken neu formuliert und das so genannte „harte Kernkapital“ erfunden. Kurzerhand wurden diverse Aktivposten in der Bilanz, u. a. Staats­anleihen oder strukturierte Finanzprodukte aufgrund von Derivateabsicherungen oder unterlegten Risikobewertungs­mo­del­len mit dem Nimbus „risikolos“ bedacht und so betrachtet, als gäbe es diese nicht in der Bilanz. Mit diesem Trick wurde u. a. die Bankbilanzsumme um diese „risikolosen“ Aktivposten reduziert und diese reduzierte Bilanzsumme ins Verhältnis zum dann noch bestehenden Eigenkapital gesetzt. So kam es u. a., dass z. B. die Deutsche Bank mit einer publizierten „harten Kernkapitalquote“ um die 11,4 % per 31.12.2012 aufwarten konnte, obwohl das eigent­liche Eigenkapital nur 2,7 % = € 54,4 Milliarden der Bilanzsumme von € 2,012 Billionen ausmachte. Somit fielen rd. € 1,535 Billionen unter dem Tisch.

Hinweis: das Kreditgeschäft nimmt nur einen An­teil von ca.19,7 % ein (?), der Rest besteht größtenteils aus einer Finanzaktiva.

Zwischenzeitlich steht der hier verwendete Begriff „risikolos“ nach Basel III in der Kritik und es zeichnet sich eine neue diesbezügliche Sichtweise ab. Demnach ist die Deutsche Bank, welche zwischen­zeitlich auch als systemgefährdend, bzw. systemrelevant eingestuft wurde, unterkapitalisiert, d. h., es fehlt nunmehr entsprechendes Kapital, was die Investmentbanker mit ihren hohen Boni in der Vergangenheit abgeschöpft haben.

Eigenkapital ist grundsätzlich ein sehr wichtiger Puffer, welchen die damals gottgleichen und mit einem Hofstaat versehenen Bank­vorstände einfach vom Tisch gewischt hatten, nur um schnell eine fragwürdige und „signifikante“ (damals ein gern gebrauchtes Wort dieser Branche) Ertragskennziffer der Presse vermelden zu können.

Diese Aktion erinnert mich sehr stark an Formel 1 Rennfahrer, die zwecks besserem Start zu wenig Benzin getankt hatten, somit leichter und schneller vom Start wegkamen, dafür aber mehrmals auftanken mussten oder auf der Rennstrecke liegen blieben.

Kurzum, mit diesen fraglichen Rückkaufprogrammen begannen die Banken ihren eigenen Ast anzusägen und hatten auch damit unter vielen anderen fragwürdigen Entscheidungen die Saat für die heutige Finanzkrise gelegt.

Wie es nun so kam, konnten die inzwischen auch von der Presse stets geforderten hohen Erträge nicht mit dem herkömmlichen Bankgeschäft erreicht werden, auch nicht mit den gerade hinzu­gekauften, und mit einer völlig anderen Kultur versehenen Invest­mentbanken, so dass man eine für die Banken selbst neue Art des Dienstleistungssektors um Hilfe bat, nämlich die Unter­nehmensberatungsgesellschaften. Da die hohen Ertragsgeschäfte aus dem Angelsächsischen kamen, konnten also nur solche aus dem angelsächsischen Raum diesen Rat erteilen, wobei insbesondere die US-amerikanische Boston Consulting Group (BCG) in den folgenden Jahren eine führende, letztlich aber auch eine desaströse  Rolle einnahm.

Etwa Mitte der 90iger Jahre wurde diese in der Dresdner Bank sehr aktiv. Das erste Ergebnis der Befragungen der Bankmitarbeiter (?) wurde in die so genannte Privatkundenstrategie zusammengefasst, nicht viel später folgte die Firmenkundenstrategie. Beide Strategien hatten eine Aufblähung des gesamten Apparates zur Folge mit dem Ergebnis, dass die Kosten sprunghaft anstiegen, die Erträge aber ausblieben. Dies führte dann zu weiteren Strategien und diesen folgten noch weitere und noch weitere. Vorstände wurden ausgewechselt wie Zeitarbeiter und die Bank kam mit dem Nachdrucken der Briefbögen, welche bei Aktiengesellschaften die Vorstände mit aufführen müssen, nicht mehr hinterher.

Das Schlimme an dieser Geschichte ist, dass alle Geschäftsbanken und um 2005 sogar die Sparkassen und Volksbanken dieser Verein­heitlichung des Bankgeschäftes wie Lemminge folgten.

Ich erinnere mich noch an eine Veranstaltung der Bank, auch „Road-Show“ genannt, bei der dem Firmenkundenbereich der Dresdner Bank die neue Strategie präsentiert werden sollte. Plötzlich brach aber die power-point-Präsentation zusammen, so dass das ganze Programm wieder hochgefahren werden musste. Der junge forsche BCG (Re)Präsentant vergaß aber dabei, dass der Beamer alles an die Wand warf, was der Computer hochfuhr. Und plötzlich erschien die Kundenliste von BCG, auf der alle Banken und viele Sparkassen und Volksbanken dieser Republik aufgeführt waren. Ein starkes Raunen und Gelächter ging durch die Reihen meiner Kollegen, der (Re)Präsentant konnte die Röte seines Gesichtes aber nicht ver­bergen.

Am Ende dieser qualvollen Veranstaltung durften wir uns dann von den jungen BCG- „Experten“, Altersdurchschnitt um die 28 – 30  Jahre, das neue Banking in workshop-ähnlicher Manier erklären lassen. Ich bin sicher, dass verschiedene dieser damaligen Grünschnäbel in verschiedene leitende Positionen in den Banken aufgerückt sind und da immer noch ihr Unwesen treiben.

Von den Kollegen der anderen Bankinstitute habe ich dann ähnliches gehört und man wurde einfach das Gefühl nicht los, dass die gesamte deutsche Bankenlandschaft sukzessive in ein gleich­geschaltetes Fahrwasser gesteuert wurde, welches vom Invest­mentbanking beliefert, gesteuert und am Ende auch brutal aus­genutzt und ausgenommen werden sollte und später auch wurde.

Deren Ziel war und ist es nämlich, die Bankgeschäfte nur in deren Sinne zu drehen zwecks Erzielung eines maximalen Ertrages ohne Rücksicht auf die Volkswirtschaft und die Arbeitsplätze weltweit.

Wie sich später auch herausgestellt hat, sponserten die Invest­mentbanken die (Elite)Universitäten dieser Welt massiv mit hohen Geldbeträgen, schufen damit Lehrstühle nur zu dem Zweck, eine neue Ideologie in diese Nachwuchslehranstalten zu implementieren.

Gerade im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends trug diese Politik enorme Früchte und pflanzte sich in das Denken der jungen Nach­wuchsbanker ein. Verbunden mit dem zu dieser Zeit stark forcierten und verbreiteten Jugendwahn (ab Anfang 40 gehörte man zum alten Eisen), der junge Kollegen plötzlich zu wichtigen Bereichsleitern und Bereichsvorständen aufstiegen lies, setzte sich diese Denke dann an der Basis der Banken fest, begleitet von enormen Vorruhe­standsbeschlüssen, die ganze Heerscharen von älteren und sehr erfahrenen Bankern das Amt und somit auch die Würde kosteten. Diese Entwicklung hat bis heute leider angehalten. Sie müssen z. B. nur in die jeweiligen Schalter /­ Verkaufsstellen der Banken hinein­schauen und werden dann feststellen, dass jungen Finanzberatern ältere Herrschaften gegenüber sitzen, die ihre Großeltern sein könnten.

Das Ergebnis dieser Maßnahmen war eine Zentralisierung diverser Kundenbetreuungseinheiten in den Metropolen unserer Republik streng nach den dadurch bedingten betriebswirtschaftlich und theoretisch erreich­baren Synergieeffekten und damit gegebenen Einsparungen. Dies hatte zur Folge, dass Kundenberater mehrstündige Fahrten zu ihren Kunden in Kauf nehmen oder sich durch die Staus dieser Republik quälen mussten. Man braucht sich nur jeden Morgen die vielen Verkehrsbehinderungen rund um die Metropolen anzuschauen und nur zusammen­rechnen, welche wertvolle Zeit hoch qualifizierte Fachleute in den Staus oder überfüllten U- /S-Bahnen vergeuden und damit hohen volkswirtschaftlichen Schaden zugunsten fragwürdiger betriebswirtschaftlicher Effizienzen ver­ursachen und das in einer nahezu total vernetzten Gesellschaft.

Neben dieser Zentralisierung fand die Zusammenfassung des Ver­kaufs­personals oder anders ausgedrückt der Kundenbetreuer (inzwischen war das Verkaufen der Produkte das oberste Gebot) in unterschiedliche Teams statt. Damit diese Teams sich dann auch persönlich besser verstehen (offizielle Begründung), wurden in der Dresdner Bank (und wie ich hörte auch in anderen Banken) für alle Teams so genannte „Outdoor Trainingstage“ an bestimmten Wochenenden organisiert. Kurz vor Beginn eines solchen „Out­door Trainings“ strahlte die ARD eine Reportage über diese neu­modischen Maßnahmen aus. Dabei stellte sich heraus, dass der Leiter dieses „Outdoor Veranstaltung“ ein hoch spezialisierter Psychologe war, der die jeweiligen Delinquenten genau be­obachtete, wie er über ein Seil in 15 Meter Höhe balancierte und dabei dem Fernsehteam genau Bericht darüber erstattete, welchen Charakter, welche Ängste und Nöte dieser Mitarbeiter vermutlich hat und wie dieser und jener einzustufen wäre. Die Vermutung, dass hier nicht beeinflussbare und unbekannte Bewertungskriterien eine Rolle spielen, setzte sich bei mir fest.

Daraufhin war für mich klar, an einer solchen Veranstaltung nicht teilzunehmen, da die Ängste und Nöte meinen damaligen Arbeit­geber nichts angehen. Unterstützt wurde diese Entscheidung noch durch einen weiteren Umstand.

Da es damals der Dresdner Bank schon ertragsmäßig sehr schlecht ging, wurden sämtliche „Teams“ der Republik nach Einsparungs­möglichkeiten befragt. Meines Wissens haben fast alle Teams übereinstimmend für die Annullierung dieses „Outdoor“-Kasperle­theaters gestimmt, da dieses pro Team um die DM 60.000 kostete und das Team es dann auch noch selber aus ihrem Ergebnisbeitrag bezahlen musste. Die Annullierung der „Outdoor Trainings“ wurde aber rundweg abgelehnt und mit vertraglichen Verpflichtungen erklärt. Ob die Teams so eine Veranstaltung wollen, wurde vor Abschluss dieses „Vertrages“ aber nicht in Gang gesetzt.

Da mir das ganze sowieso etwas seltsam vorkam, habe ich mich nach dem Veranstalter, einer GmbH in München erkundigt und festgestellt, dass dieses Unternehmen wieder unterschiedlichen Unternehmen gehörte, letztlich einem ganzen Unternehmens­konglomerat, welches teilweise das Wort „Zirkel“ im Firmennamen trug (??). An der Spitze dieser unterschiedlichen Besitzunternehmen tauchte dann ein Verein in Hamburg auf mit einem unbekannten Vereinsvorstand, zu den Vereinsmitgliedern konnte ich keine Informationen bekommen.

Beim Zusammenzählen von eins und eins konnte man letztlich zu dem Ergebnis kommen, dass sich an dieser bundesweiten Maßnahme irgendjemand eine goldene Nase verdient hatte.

Grundsätzlich war ich gegenüber den diversen Maßnahmen der Bank, das Teamverständnis zu fördern und zu festigen, äußerst misstrauisch. Da gab es Veranstaltungen, bei denen man mit Magneten Fische angeln sollte und das Team mit den meisten Fischen wurde dann belohnt. Kurzum ich fühlte mich damals in meine Kindheit zurückversetzt, bzw. als seriöser Banker nicht ernst genommen

Mit diesen „Teamgeist fördernden“  Maßnahmen begann dann der breit gefächerte Verkauf der so genannten strukturierten Finanzprodukte, welche  von den Investmentbanken zusammen gebastelt wurden. Diese hatten aber neben vielen anderen und ähnlich gelagerten Geschäftsfeldern in den meisten Fällen nur das Ziel, Kreditrisiken verbrieft, d. h. zusammengefasst in einem neuen „Wertpapier“, u. a. auch Fonds genannt, an den unwissenden Anleger zu verteilen.

Anfangs wurden damit nur gute Kreditrisiken zusammengefasst und verbrieft. Später sank diese Kreditqualität zusehends, bis nur noch Anlageschrott, auch Subprimes genannt, auf den Markt geworfen wurden. Bonitäten der Kreditnehmer waren nicht mehr gefragt, sondern nur der Verkauf der Kredite, damit sie so schnell wie mög­lich verbrieft und verkauft werden konnten. Rein und raus damit und mit immer schnellerer Drehzahl.

Damals beschrieb man den „cleveren“ Banker wie folgt: Er muss akquirieren, den Deal abschließen, danach verbriefen und verscherbeln können bzw. dann das Weite suchen. Unter aktuellem Licht betrachtet gilt diese Regel heute immer noch.

Ich erinnere mich noch an diverse Restrukturierungen von Unter­nehmen, deren Überlebensfähigkeit auch nach der dritten Restrukturierung zu nichts mehr führen konnte. Die mit sehr viel Mühsal dann doch noch abgeschlossenen Kreditverträge wurden in derselben Sekunde der Unterzeichnung verbrieft und sehr provisionsträchtig weiterverkauft. Als Käufer traten die so genannten „Institutionellen Anleger“ auf, welche damals einen Nimbus der unverwundbaren und äußerst cleveren Anlagefähigkeit hatten. Diese „Fachleute“ des Anlagemarktes waren aber nichts anderes als die Versicherungsgesellschaften, die Pensionskassen und die Investmentfonds aller Kategorien, welche diese Produkte als „Beimischung“ deklarierten. Später kam dann noch der Eigen­handel, insbesondere der europäischen Banken hinzu, welche den Hals nicht voll bekommen konnten und kauften auf, was das Zeug herhielt, bzw. was nur nach so genannter Finanzinnovation roch.

Dadurch stieg die Bilanzsumme aller europäischen Banken bis auf das 3 ½ fache des europäischen Bruttoinlandsproduktes, wogegen die Summe aller Bilanzsummen der US-amerikanischen Banken derzeit kleiner (70 – 80%) ist als das US-Bruttoinlandsprodukt. Daraus muss man folgern, dass die cleveren US-Investmentbanker es geschafft haben, den neunmal klugen europäischen Banken, die den Angelsachsen alles nachgeäfft hatten, ihren gesamten Kredit­schrott angedreht zu haben. Inwiefern dahinter betrügerische Absichten steckten, kann abschließend nicht beurteilt werden, lässt dies aber nach den immer wieder bekannt geworden Skandalen sehr stark vermuten.

Hinter diesen „Institutionellen Anlegern“ stehen aber nichts anderes als die normalen Kleinanleger in großer Zahl, die immer brav ihr Geld in ihre Versicherungspolice, Zusatzrenten und sonstige Altersvorsorgeprodukte eingezahlt haben. Ich bin mir daher bis heute nicht sicher, wie ich die Wertigkeit unserer privat gedeckten Renten noch einzuschätzen habe, von der sozialen Rente, aufgebaut auf (vage) Versprechungen unserer Sozialpolitiker mit hoher Fluktuationsquote, einmal ganz abgesehen. Auf jeden Fall ist nicht auszuschließen, dass bei einem nächsten, leider bald zu befürchtenden Finanz-Rumps der Wert solcher Vorsorgeprodukte stark eingeschränkt wird oder sich sogar in Luft auflöst.

Dieses damals schon penetrante Aufdrängen oder Verkaufen dieses strukturierten Mischmaschs verleitet mich in 2005 diese Art und Weise des Verkaufs in einem Leserbrief in der FAZ (Überschrift: Banken als Wettbüros /­ siehe Leserbriefe) zu kritisieren. Die Resonanz aus allen Teilen der Republik war doch sehr erfreulich, die Anfeindungen meiner Bankerkollegen dagegen nicht (Nestbe­schmutzer usw.).

Diesem Leserbrief folgten in den Jahren 2006 – 2007 noch weitere (u. a. siehe Leserbrief „Fragwürdige Finanzprodukte) und können mir letztlich nur das traurige Gefühl geben, damals die Zeichen der Zeit schon erkannt zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Finanzindustrie bereits in ver­schiedene Zweige aufgeteilt. Neben den Banken etablierten sich immer mehr andere Institutionen zum Zwecke der Vermögens­anlage. Diese sind diverse Finanzvertriebe (man kann sie auch als grauen Markt bezeichnen), nicht einem Bankkonzern an­geschlossene Internetbanken mit den abstrusesten Anlage­angeboten, Versicherungsgesellschaften, Hedgefonds und die Produzenten dieser Vermögensanlagemischmaschs sowie die Investmentbanken mit ihrem Investmentbanking.

Juli 2013

Elmar Emde

Autor des Buches “Die strukturierte Ausbeutung”

Siehe auch http://www.emde-fiveko.de

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