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Alternativplan zu Draghis Geldpolitik

Oder ist das Ziel eine neue Währung?

Die Kritiker von Draghis Geldpolitik würden keine Alternativplan bieten, behaupten Marcel Fratzscher & Co., die linke Fraktion der Ökonomen, welche die weitere Verschuldung der Staaten als alleiniges probates Mittel zur Gesundung der europäischen Finanzprobleme sehen und somit die Geldpolitik von Draghi als richtig einstufen.

Die der Geldpolitik von Herrn Draghi sehr kritisch gegenüberstehenden Ökonomen Prof. Hans-Werner Sinn und Prof. Gunther Schnabel stellten in der FAZ Sonntagszeitung vom 17. April 2016 einen Alternativplan vor, welchen es Wert ist, in diesem Blog in voller Länge abgedruckt zu werden  und zwar wie folgt:

„EIN ALTERNATIVPLAN FÜR Europa                                                                                                                            von   Prof. Hans-Werner Sinn und Prof. Gunther Schnabl

Unter dem Titel „Kritik an Draghi ist noch keine Lösung“ verteidigte Marcel Fratzscher und Kollegen an dieser Stelle in der vergangenen Woche die ultra lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Ihr Argument war, dass (berechtigte) Kritik alleine nicht ausreiche. Die Gegner müssen kontruktive  Antworten auf die Krise finden. Dieser Aufforderungen wollen wir (Hans-Werner Sinn und Gunter Schnabel) nachkommen.

Zunächst muss man verstehen, wie die Krise entstanden ist. Die Ankündigung des Euros ließ die Zinsen in Südeuropa und Irland  schon ab 1998 auf das niedrige deutsche Niveau fallen. Das veranlasste die Staaten, Ausgaben und Schulden aufzublähen. Die niedrigen Kreditzinsen trieben  Immobilienblasen. Beides ermöglichte exorbitante Lohnerhöhungen, die sich nicht mehr an Produktivitätszuwächsen orientieren. Das heizte die Inflation an, unterminierte  die Wettbewerbsfähigkeit und ließ hohe Leistungsbilanzdefizite entstehen. Als die amerikanische  Finanzkrise  2007/2008 nach Europa überschwappte, riss der Zustrom von Krediten ab, und die Blasen platzten.

Die Krisenländer schlossen mit Hilfe von Krediten der Notenbanken durch nationale Geldschöpfung die Finanzierungslücken. So entstanden die sogenannten Target-Schulden der Euro-Krisenländer über die Notenbanken. Sie lagen in der Spitze  im Jahr 2012 bei 1.003 Milliarden Euro. Das Eurosystem half zudem, indem  es für 223 Milliarden  Euro Staatspapiere der Krisenländer kaufte. Die EZB bot für den Notfall sogar unbegrenzte Käufe an. Sie senkte die Zinsen auf null und kauft seit Anfang 2015 in riesigem Umfang Staatsanleihen aller Euroländer.

Die Rettungspolitik der EZB hat in Südeuropa zwar Staats- und Bankenkrisen vorgebeugt. Doch statt der Bevölkerung schmerzliche Reformen zuzumuten, gewöhnte man sich an die Droge des billigen Geldes. Die rechtlichen  Schranken in Form des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aus dem Jahr 1996, des Fiskalpaktes aus dem Jahr 2012 und des Verbots der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) erwiesen sich als unfähig, dem Treiben Einhalt zu gebieten.

In Südeuropa hält die Wachstumskrise an, weil die EZB zu viel Zeit für Nichtstun gekauft hat. Mit ihrer Nullzinspolitik hat sie die Allokationsfunktion des Zinses außer Kraft gesetzt, so dass nicht mehr zwischen Investitionen mit hoher  und niedriger Grenzleistungsfähigkeit getrennt wird. Da Ressourcen in Projekten mit geringen Renditen gebunden bleiben, werden weniger neue  Investitionen  mit hoher Rendite  auf den Weg gebracht. Zombie-Banken hängen weiter am Tropf der EZB und subventionieren Zombie-Unternehmen, die ohne eine „nachsichtige Kreditvergabe“ nicht lebensfähig wären. So lähmt die Geldpolitik Investitionen, Innovationen, Produktivitätsgewinne und Wachstum, ähnlich wie es früher in den sozialistischen Planwirtschaften der Fall war.

In Deutschland treibt die ultra-lockere Geldpolitik nun die Preise von Aktien und Immobilien in den Himmel. Es entstehen neue Blasen, die platzen werden. Man kann nicht Blasen mit Blasen bekämpfen. Diese Strategie  wird am Ende  die Geldordnung und damit das Vertrauen der Bürger  zerstören. Es ist deshalb an der Zeit, ein klares Signal zu geben, dass die expansive  Geldpolitik beendet wird. Längst fällige Reformen  würden so erzwungen. Die Spekulation  auf einen Fortgang der Geldschwemme  würde eingedämmt. Das Vertrauen der Sparer in die Geldordnung würde wieder  gestärkt. Die Federal Reserve hat diese Trendwende  bei den Zinsen schon umgesetzt.

Denkbar wären glaubhafte Zinsschritte von je 0,25% Prozentpunkten pro Halbjahr über einen langen Zeitraum hinweg. Würden so die Erwartungen hin zu einer langsamen Geldpolitischen  Straffung gedreht, hätten die überschuldeten Staaten, wacklige  Finanzinstitute und lahme Unternehmen ausrechend Zeit für das längst fällige Aufräumen. Wenn einige  dennoch scheitern, wird Neues entstehen. Wer die schöpferische  Zerstörung  Schumpeters verhindern will, wird Siechtum ernten.

Da die Regierungen mit steigenden Zinslasten rechnen müssten, wären sie zum Sparen gezwungen, um die Schuldenberge abzutragen. Die Verringerung der öffentlichen Ausgaben würde privater wirtschaftlicher Aktivität wieder mehr Raum geben. Den Banken und Versicherungen, die darunter leiden, dass die Geldpolitik  die Gewinnmargen drückt, würde eine wichtige Einkommensquelle zurückgegeben. Damit ließen sich faule Kredite  abtragen und das traditionelle Kreditgeschäft zur Investitionsfinanzierung wiederbeleben.

An die Unternehmen würde das Signal gesendet, dass sie, statt auf billige Kredite zu warten, wieder höhere Renditen erwirtschaften müssen. Das wäre ein Anreiz zu neuen  Innovationen und Investitionen. Die Produktivitätsgewinne, die seit Einsetzen der sehr expansiven Geldpolitiken immer kleiner wurden, würden wieder zunehmen. Dies würde Raum für reale Lohnerhöhungen und mehr Konsum schaffen. Die Kapazitäten der Unternehmen würden wieder ausgelastet. Das Vertrauen der Bürger in die Marktwirtschaft und Politik würde wiederbelebt.

Der Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik ist nur dann möglich, wenn er international koordiniert wird. Sonst kommt es zu schmerzhaften Aufwertungen. Da in allen Ländern die expansiven Geldpolitiken das Wachstum lähmen, ist gemeinsames Handeln sinnvoll und erforderlich. Äußerungen auf dem jüngsten G-20 Treffen in Schanghai gingen in diese Richtung.

Die EZB sollte ihr Inflationsziel wieder stärker am Maastricht-Vertrag orientieren, der Preisstabilität und nicht etwa eine Inflationsrate von nahe zwei Prozent vorschreiben. Mit der semantischen Umdeutung des Mandates  sollte Schluss sein. Die Schweiz hat in der Vergangenheit gezeigt, dass in Perioden  der Preisstabilität das Wachstum nicht beeinträchtigt wird. Darüber hinaus muss das Regelwerk, unter  dem der EZB-Rat seine Beschlüsse  trifft, reformiert werden. Dazu sind folgende Schritte unerlässlich:

Erstens sollten die Stimmgewichte im EZB-Rat die Haftungsanteile widerspiegeln. Es geht nicht an, dass Deutschland für ein Viertel der Investitionsrisiken der EZB haftet, obwohl es nur ein Stimmgewicht wie Malta hat. Der Zentralbankpräsident des wirtschaftlich größten Eurolandes  darf bei den fiskalischen  Kreditoperationen der EZB nicht laufend überstimmt werden können.

Zweitens sollte für geldpolitische  Entscheidungen, die starke fiskalische  Wirkung haben, eine qualifizierte  Mehrheit von mindestens  80 Prozent der Stimmen vorgesehen sein, zum Beispiel bei Käufen von Staatspapieren.

Drittens muss die asymmetrische  Kreditgewährung aus der Druckerpresse, die Deutschlands Target-Forderungen mittlerweile wieder auf  über 600 Milliarden Euro getrieben hat, ein Ende finden. Es geht nicht an, dass man unbegrenzt bei der Bundesbank anschreiben lassen kann, ohne jemals zur Tilgung gezwungen zu sein. In den Vereinigten Staaten  müssen die Target-analogen Salden zwischen den Distrikt-Zentralbanken jährlich abgegolten werden. Die Tilgung nimmt den Appatit für die Selbstrettung mit der Druckerpresse.

Dies alles  ist ein Entzugsprogramm für Drogensüchtige. Es kann zwar erhebliche  Kopfschmerzen verursachen, doch ist es  unvermeidbar, wenn man  Europa nicht zu einem Bund überschuldeter Junkie-Staaten  machen will, der politisch  und wirtschaftlich in der Welt nicht Schritt halten kann.

Diejenigen, denen die Therapie zu beschwerlich ist, sollten unter Streichung eines Teils ihrer Schulden temporär aus der Währungsunion austreten können. Nachdem das betroffene Land nach Abwertung  und Strukturreformen  seine Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangt hat, wäre  der Wiedereintritt zu einem neuen Wechselkurs möglich. Die Abwertung würde die Arbeitslosigkeit  senken. Die Aussicht auf Wiedereintritt würde Reformkräfte  stärken und das Land politisch stabilisieren.

Die Probleme sitzen tief und sind  politisch nicht einfach zu lösen. Doch der Versuch, strukturelle Probleme  mit immer mehr billigem Geld  zu therapieren, ist kontraproduktiv. Da die ultra lockere Geldpolitik  neue Blasen treibt, das Wachstum lähmt und wachsende Ungleichheit begründet, bildet sie den Nährboden  für eine zunehmend e politische Polarisierung  in der EU. Es ist an der Zeit, Mario Draghi die Bazooka zu entreißen“.

Anmerkungen des Herausgebers:

Diese Analyse entspricht letztlich den „finanzphysikalischen“ Gesetzen , die sich mit Bazookas oder mit „whatever it takes“ nicht außer Kraft setzen lassen. Problem ist nur, dass die handelnden Personen diesen „finazphysikalischen“ Gesetzen nicht folgen wollen und werden, „whatever it takes“, angefangen bei Herrn Draghi mit seinem der Politik zur Dankbarkeit verpflichteten  Zentralbankrat, und fortgesetzt bei den europäischen Politikern, die aus wahltaktischen Gründen die notwendigen und schmerzhaften Reformen keinesfalls durchführen werden.

Die Analyse und das Resultat daraus kann somit nur heißen, dass am Ende dieser chaotischen Versuchslabor-Geldpolitik eine neue Währung stehen  wird, vielleicht der Euro-Dollar.

  1. Mai 2016

Elmar Emde

Autor des Buches „Die strukturierte Ausbeutung“

Siehe auch http://www.emde-fiveko.de