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Bilanzqualität der DAX-Unternehmen

Die Werthaltigkeit einer Unternehmensbeteiligung setzt sowohl eine gute Ertragslage als auch Bilanzqualität voraus, d.h. das bereinigte (saldierte Netto-) Eigenkapital sollte den größten Anteil der Aktiva ausmachen und die Aktiva (Vermögenswerte) sollte keine Luftnummern enthalten.

Kein Unternehmen hat immer nur eine gute Ertragslage, sondern auch Durchhänge- / Verlustphasen aus unterschiedlichen Gründen, welche dann von einer guten Bilanzqualität mit der Pufferfunktion des Eigenkapitals aufgefangen werden sollte.

Diese Grundsätze sollte sich ein jeder Aktionär zu Eigen machen, ich befürchte nur, dass ein Großteil der Investoren diese Grundsätze nicht beherzigt und sich auch nicht die Mühe macht, einen Blick in die Bilanzen zu werfen oder es fehlt die entsprechende Expertise.

Der nicht logisch zu begründende Anstieg der Börsenkurse in den letzten Wochen könnte den Schluss zulassen, dass bspw. die DAX-Unternehmen diesbezüglich gesunde Relationen aufweisen. Dem ist aber leider nicht so.

Wie in diesem Blog schon oft kritisiert, hat in den letzten 25 Jahren die angelsächsische Investment(bank)kultur und somit deren kryptische Buchungsmethoden (IFRS) Einzug gehalten bzw. damit unser Finanzsystem sukzessive auf Kapitalmarktaktivitäten mit all ihren negativen Auswirkungen hin fixiert. Diese Kultur spielt mit der Gier der Menschen und hat uns bereits zwei große Krisen in 2000 und 2008 beschert und scheint nun auch die Coronakrise finanziell zu verschlimmern.

Im Handelsblatt wurde am 18.Mai 2020 ein sehr empfehlenswerter Kommentar von Ulf Sommer mit dem Titel „Milliarden-Risiko in den Bilanzen“ veröffentlicht, welcher die hohen Goodwills in den Bilanzen sehr kritisch und objektiv beäugte.

Goodwills entstehen bei der Übernahme von Unternehmen, deren Kaufpreise in der Regel deutlich über dem Wert der bilanzierten Vermögenswerte liegen, somit Hoffnungswerte sind, basierend auf derzeitige Markt- und Ertragsstärke. Erfahrungsgemäß werden solche zum Verkauf stehende Unternehmen in den Jahren vor dem Verkauf  professionell entsprechend stark aufgehübscht zwecks Erhöhung des Verkaufspreises.

Bis 2005 mussten die Goodwills innerhalb von 10 Jahren abgeschrieben werden, der Kapitalmarktlobby, ich würde sagen, der Investmentbank-Lobby, war es aber zum Zwecke der Forcierung des M&A – Geschäftes gelungen, dieses Abschreibungsdiktum aufzulösen. Goodwills müssen daher seitdem nicht mehr abgeschrieben werden und sind nunmehr ein „stabiler“ und unveränderter Buchungsposten auf der Aktivseite der Bilanzen. Ein sehr fragwürdiges Unterfangen mit Blick auf die Solidität von Unternehmensbilanzen, zumal sich  die Technologien und Patente, die sich die Unternehmen mit Firmenkäufen  hinzukaufen, in der heutigen dynamischen Welt sehr schnell überholen.

Einzige Ausnahme ist allerdings, wenn das übernommene Unternehmen Verluste produziert.

Zum einen zeigen Statistiken, dass Übernahmen selten gut funktionieren und zum anderen wird es jetzt spannend, wie sich in der Coronakrise und der damit ausgelösten immensen weltweiten Rezession, verbunden mit gestörten Lieferketten, toten Märkten und somit starken Umsatzrückgängen evtl. auf Jahre hinaus, die Ertragslage insbesondere der übernommenen Unternehmen entwickeln und welche notwendigen (Abschreibungs-) Auswirkungen sich daraus auf die DAX-Unternehmen ergeben.

Die  Handelsblatt-Analyse, welche pro DAX-Unternehmen die Goodwills dem Eigenkapital gegenüber stellte und daraus die Quote errechnete, wurde von mir noch um die immaterielle Aktiva (Nutzungsrechte, Lizenzen usw.), welche letztlich auch in Rezessionszeiten negativ tangiert wird und somit auch an Wert verliert, ergänzt. Immaterielle Aktiva und Goodwills stellten wir dann zusammen dem Eigenkapital gegenüber. Zusätzlich eruierten wir noch die Höhe der zurückgekauften eigenen Aktien, welche in dem aufgeführten Eigenkapital bereits berücksichtigt worden war.

Das Ergebnis ist sehr aufschlussreich, insbesondere der Zusammenhang von „Quote Goodwill zu Eigenkapital“ bzw. „Quote Goodwill + immaterielle Aktiva zu Eigenkapital“ (bis zur roten Linie).

Bei EON beispielsweise sind die Goodwills höher als das Eigenkapital, zusammen mit der zusätzlichen immateriellen Aktiva übersteigen diese sogar das Eigenkapital um 189%. Ähnliches kann man bei den Unternehmen  Fresenius, Merck, SAP, Bayer und Deutsche Post (siehe Darstellung) erkennen.

Besonders auffallend hierbei ist auch der Umstand, dass diese Unternehmen bzw. diejenigen bis zur roten und rosa Linie bis auf wenige einen nicht unbeträchtlichen Anteil ihrer eigenen Aktien in ihren Bilanzen halten.

Eigene Aktien in der Bilanz vermindern das Eigenkapital und werden entweder durch Aufnahme von Finanzverbindlichkeiten oder durch Reduzierung der Cash-Bestände finanziert, jeweils maßgeblich gefördert von der Niedrigzinspolitik der EZB, welche in den letzten Jahren damit den Fokus auf den Kapitalmarkt mehr als forciert hat.

Der Rückkauf der Aktien sowie gut begründete (geschönte) Unternehmensübernahmen führen meistens zu höheren Aktienkursen, tragen aber erfahrungsgemäß in den überwiegenden Fällen nicht zu einer Stärkung des Unternehmens bei. Hierzu gibt es zahllose Beispiele, deren Aufzählung diesen Rahmen sprengen würde. Nur ein Beispiel hierzu: Daimler > Chrysler.

Andererseits sind die Boni der Vorstände in der Regel an die jeweilige Entwicklung des Aktienkurses gekoppelt, womit solche Vorstandsbestrebungen leider sehr stark gefördert werden. Dies zeigt sich auch deutlich an der heute im Handelsblatt veröffentlichten Gehaltstabelle der 30 DAX-CEO`s. Die ersten fünf Plätze, angefangen beim höchsten CEO-Gehalt nehmen Linde, SAP, Siemens, Merck und Deutsche Post ein, welche sich auch auf meiner Liste in den oberen Regionen befinden.

Interessant auch Adidas, welche wegen Corona einen Notkredit in Höhe von € 3 Milliarden zur Sicherung der Liquidität aufnehmen musste, in  ihrer Bilanz aber eigene Aktien in Höhe von € 1,2 Milliarden verbucht hat.

Insofern zeigen diese Gegenüberstellungen, welches Management im Wesentlichen den Aktienkurs und damit zu vermuten das eigene Gehalt im Fokus hat und welches der langfristigen Solidität den Vorzug gibt, gerade während einer Rezession wie der jetzigen ein sehr großer Vorteil.

Auffallend auch dabei die weiche IFRS Bilanzierung diverser Unternehmen, welche sogar unter der immateriellen Aktiva Kundenbeziehungen aktivieren (z.B. bei Linde € 11,18 Milliarden =24% des EK`s), nicht zu vergessen die aktivierten Entwicklungskosten bei BMW, Daimler und VW.  Früher waren solche Buchungskapriolen ein absolutes „no go“, dank Investment(bank)kultur nunmehr üblich.

Auch hier zeigt sich wieder, dass diese Entwicklung / Kultur nur wenigen nützt, der großen Mehrheit aber  erheblichen Schaden zufügt.

12. Juni 2020

Elmar Emde

Autor des Buches „Die strukturierte Ausbeutung“